Kommentar Streit in der Linkspartei: Wieder mal durchgemogelt
Sahra Wagenknecht hat eine ungute Macht über die Partei. Damit sie als Fraktionschefin bleibt, werden überfällige Debatten unterdrückt.
S ahra Wagenknecht ist ein Star, nicht nur in der Linkspartei. Wo immer die Frau mit der geraden Haltung und der dunklen Stimme im Wahlkampf auftritt, füllen sich die Marktplätze. Selbst überzeugte CDUler kamen im Wahlkampf, um „Sahra“ zuzuhören.
Kaum eine Partei hat eine Führungsfrau von ähnlicher Ausstrahlung und Faszination vorzuweisen. Für die Linkspartei ist Sahra Wagenknecht inzwischen das Gesicht der Partei und ihr Aushängeschild. Sie ist unersetzbar geworden. Und genau das ist das Problem. Denn die Fraktionschefin weiß sehr genau um ihren Wert für die Partei und ist immer wieder bereit, damit skrupellos zu wuchern.
Es ist nicht das erste Mal, dass Wagenknecht ihre Person in die Waagschale warf, um inhaltliche Debatten für sich zu entscheiden. Schon vor über zwei Jahren, im Frühjahr 2015, hatte Wagenknecht damit gedroht, nicht für den Fraktionsvorsitz zu kandidieren. Damals hatte sie sich über die Zustimmung großer Teile ihrer Fraktion zum Hilfspaket für Griechenland geärgert.
Nun wiederholte sich das Spiel auf der Fraktionsklausur. Zwei Anträge zur Geschäftsordnung passten Wagenknecht nicht, die Antragsteller, eine buntgemischte Truppe, sahen sich plötzlich dem Verdacht ausgesetzt, von der Parteiführung bestellte Wagenknecht-Meuchler zu sein. Wagenknecht kündigte an, nicht zur Verfügung zu stehen, sollten die Anträge eine Mehrheit finden. Und sie kam damit durch.
Wagenknechts Motto „Basisdemokratie finde ich vor allem dann gut, wenn sie meinen Interessen dient“, mag durchaus menschlich sein. Aber für eine Fraktionsführerin im Bundestag, die die parlamentarische Willensbildung mit organisieren soll, ist es fatal. Wie soll die Linkspartei künftig glaubhaft Versuchen von rechts entgegentreten, die Demokratie für nationale Interessen zu kapern, wenn die innerparteiliche Demokratie nach Gusto der Fraktionsführung eingeschränkt wird? Nichts anderes macht doch Wagenknecht, wenn sie mündige Abgeordnete unter Druck setzt und im Falle „falscher“ Entscheidungen mit Rücktritt droht.
Dass „Sahra“ ihre Partei auch in anderen Punkten immer wieder an den Rand der Selbstverleugnung bringt, ist ein weiterer Beleg ihrer unguten Macht über diese. „Klar: Wir sind für offene Grenzen für alle. Und, ach: was unsere Fraktionsvorsitzende dazu meint, ist doch nicht so ernst zu nehmen.“ Mit diesem Ansatz versucht sich die Linkspartei durch längst fällige innerparteiliche Debatten zu mogeln und macht es Wagenknecht damit leicht, Versäumnisse in der Flüchtlingspolitik anzuprangern.
Ehrlicher wäre es, wenn die Linkspartei sich traute, unbequeme Debatten auszutragen. Und wenn Wagenknecht einstecken muss und am Ende für sich entscheidet, dass die Linke die falsche Partei für sie ist, dann ist es eben so. Aber es ist doch fraglich, ob sie es darauf ankommen lässt.
Denn es ist ja nicht nur so, dass die Partei Wagenknecht braucht – auch Wagenknecht braucht die Linke. Nirgendwo sonst bietet man ihr eine solche Bühne.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands